Kreuzweg

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Der hier vorgestellte Kreuzweg ist eine moderne Interpretation eines alten Motivs der religiösen Kunst. Er folgt der seit der Renaissance gebräuchlichen Tradition der 14 Stationen, wie sie in den meisten katholischen Kirchen zu finden sind. Kreuzwege allgemein zeichnen die 'Via dolorosa' (die schmerzensreiche Straße) in Jerusalem nach. Den Weg, den Jesus vom Ort der Verurteilung zur Hinrichtungsstätte auf Golgatha ging. Wurde im frühen Christentum noch der reale Weg begangen, als Ziel einer Pilgerfahrt, verlagerte sich der Brauch nach dem Ende der Kreuzzüge und dem Verlust Jerusalems in die europäischen Städte, teils im Freien, zum Beispiel als 'Kalvarienberg', zumeist aber als Darstellung in Form von Bildern oder Skulpturen in den Kirchen. Der Berliner Künstler Stannes Schwarz unterwarf sich dem Abenteuer der Gestaltung eines modernen Kreuzweges als Reaktion auf den langen Leidensweg seiner Mutter. Der Kreuzweg ist das 'Hohelied des Schmerzes'. Es führt in die dunkelsten Bereiche menschlicher Existenz, in die Qualen physischer und psychischer Not. Jesus ist auf diesem Weg ganz Mensch, alles göttliche ist von ihm genommen. Seine spätere Auferstehung und Verherrlichung sind ausgeklammert und spielen keine Rolle. Die Verzweiflung beherrscht die Szene. Dadurch bietet er die Projektionsfläche, auf die jeder Bedrängte sein eigenes Schicksal übertragen und - vielleicht und hoffentlich - Trost gewinnen kann. Besonders bemerkenswert ist die vom Künstler eingesetzte Collagetechnik. Schwarz arbeitet in seiner Kunst vielfach mit Vexierbildern. So nutzt er auch in seinem Kreuzweg 'kunstfernes' Material, Material, dass aus anderen, profanen Zusammenhängen stammt. Bildträger sind hier ausgediente Tapeziertische mit all ihren Gebrauchsspuren, zum Collagieren verwendet er Werbeprospekte, wie sie in Märkten oder als Wurfsendung massenhaft verteilt werden. Hinzu kommen Lackfarbe, Beize und Blattgold. Die Wahl des Materials öffnet dem aufmerksamen Beobachter verschiedene Blickweisen auf das dargestellte Motiv. Werbung erscheint schrill, bunt, stark und gesund und steht damit in einem scharfen Kontrast zum Leidensthema des Kreuzweges. Es liegt ein gewisser sportlicher Reiz darin, mit diesem Material Szenen zu formen, die gewissermaßen auf der anderen Seite stattfinden, im Schatten: Gegenbilder zu erzeugen ist die Absicht des Künstlers. Schwarz arbeitet mit seinen Papiervorlagen nicht nur, indem er Motive ausschneidet und neu zusammensetzt, er benutzt auch die Farbigkeit der Papiere, indem er sie zerreißt und mit den bunten Schnitzeln 'malt'. 'Malen mit Papier' könnte man diese außerordentliche Technik nennen. Künstlerisches Arbeiten mit solch gewöhnlichen Alltagsmaterialien bedeutet Einschränkung der Mittel und setzt eine große Offenheit voraus. Nur, was das gewählte Material zulässt, kann auch künstlerische Verwendung finden. Die Farbigkeit zum Beispiel hängt vollkommen von den Farben ab, die die Prospekte anbieten. Die Kunst besteht darin, die Möglichkeiten des vorhandenen Materials zu erkunden und der künstlerischen Aussage dienstbar zu machen. Für den Kreuzweg verwendet der Künstler das so genannte Franziskuskreuz, bestehend aus einem senkrechten und einen stumpf darauf befindlichen waagrechten Balken. Es rührt dies einerseits aus einer starken emotionalen Beziehung des Künstlers zum heiligen Franziskus her, aber auch formal ergeben sich aus den aufeinander stoßenden Balken in den Bildern die reizvolleren Perspektiven. Nur das erste und das letzte Bild zeigen das Kreuz nicht, allerdings beziehen sich diese Bilder wechselweise aufeinander, da im ersten die Senkrechte dominiert, im letzten die Waagrechte. Jesus ist nicht als eindeutige Persönlichkeit gezeichnet, sein Gesicht ist nur schematisch dargestellt. Jedem Betrachter soll die Möglichkeit gegeben sein, seine eigene Vorstellung zu ergänzen. Auch Simon von Cyrene erscheint unpersönlich. Die Funktionsträger kommen ganz ohne Gesichter aus. Als Portraits von tatsächlich existenten Personen sind allerdings die Frauendarstellungen angelegt, denn die starke weibliche Komponente des Kreuzweges, die sich in Jesus' Begegnungen mit seiner Mutter, mit Veronika und mit den weinenden Frauen manifestiert, ist bemerkenswert.

Kreuzweg 2014

Werbeprospekte, Lack, Gold, Beize auf Tapeziertischplatten