Das Innere nach außen
Die Präparate der pathologischen Sammlung der "Charitè" in Berlin erwecken beim ersten Hinsehen einen Schauder, der zugleich schwer erträglich wie auch faszinierend wirkt. Man kann kaum hin und nur schwer wieder wegsehen. Die Monstrosität ihrer Erscheinungen bilden einen so unsäglichen Kontrast zu der Unschuld Ihrer Frühkindlichkeit, dass es einem Schmerzen verursacht.
Die Anlage einer solchen Sammlung verfolgt wohl den Zweck, die Missbildungen zu typisieren und damit wissenschaftlich und auch emotional begreifbar zu machen. Die Möglichkeit, verschiedene Typen zuordnen zu können, Vergleiche anzustellen, Gemeinsames und Unterschiedliches zu benennen, erleichtert den Umgang mit dem Phänomen der Verwachsungen.
Wagt man aber den genaueren Blick auf diese seltsamen Geschöpfe, eröffnet sich einem ein reich schillerndes Panoptikum menschlichen Werdens, Lebens und Vergehens. Hinausgehend über die nahe liegenden biologischen und soziologischen Fragen nach den Ursachen des Fehlwachstums und den Umständen der Schwangerschaft und Geburt, beginnt man diese Wesen als etwas Eigenes zu verstehen. Man betritt eine separate Welt, die, wiewohl untrennbar mit unserem Leben verbunden, doch wie ein verbotenes Land wirkt, ein Land voll ungeahnter Möglichkeiten und Gefahren. Es wird einem bewusst, eine wie dünne Schicht das ist, was man als richtige, normale äußere Form des Menschen erachtet, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, in der Entstehung dieser Körperlichkeit andere Wege einzuschlagen.
Man blickt in den Brutofen des Lebens.
Überrascht sieht man sich einer Ansammlung von Archetypen der menschlichen Existenz gegenüber. In den Körpern und Gesichtern drücken sich Urängste und Urhoffnungen aus, die ganze Palette menschlicher Gefühle: Vom qualvollen Schrei bis zum unbeschwerten Grinsen, vom erbitterten Zorn bis zu lächelnder Glückseligkeit, von sklavenhafter Gebundenheit bis zu tänzerischer Verzückung, von bohrender Stumpfheit bis zu göttlicher Weisheit - alles tritt einem in allegorischer Expressivität entgegen.
Den Blick dafür zu öffnen, habe ich diese Bilder gezeichnet.
Ich empfehle sie Ihnen zu respektvoller Betrachtung.